Personalpolitik des Bayerischen Rundfunks per Twitter

Die öffentlich-rechtlichen Sender Bayerischer Rundfunk und Arte haben am Wochenende öffentlich verkündet, mit dem Journalisten und Moderator Malcolm Ohanwe nicht mehr zusammenzuarbeiten. Anlass waren wohl Äußerungen auf X/ Twitter zu den Angriffen der Hamas auf Israel.

Beide Sender machten die Personalentscheidung zwar öffentlich, lieferten aber keine für eine Beurteilung notwendigen Fakten. Stattdessen präsentierten sie ein Dauerproblem des Journalismus: Meinungen und Tatsachenannahmen statt Fakten.

So schrieb Arte am Samstagabend auf Twitter/X:

>ARTE distanziert sich in aller Schärfe von Malcolm Ohanwes menschenverachtenden Statements, die nichts mit unserem Verständnis von Journalismus zu tun haben. Wir haben Herrn Ohanwe im Übrigen auch gebeten, alle ARTE-Bezüge von seinem X-Profil zu entfernen.<

Was genau die „menschenverachtenden Statements“ gewesen sein sollen, verrät der französisch-deutsche Sender nicht.

Der Bayerische Rundfunk postete am Sonntamorgen auf X:

>Der BR distanziert sich in aller Schärfe von Malcolm Ohanwes menschenverachtenden Statements, die nichts mit unserem Verständnis von Journalismus zu tun haben.  Seinen Twitteraccount betreibt er privat. Malcolm Ohanwe arbeitet freiberuflich. Der BR beauftragt ihn nicht mehr.<

Die identische Phrase überlässt es den Rezipienten, das Menschenverachtende zu suchen (wobei wohl Israel- oder Israeliverachtendes gemeint sein dürfte). Vor allem auf folgenden Post von Ohanwe wird von Nutzern verwiesen:

>Wenn die Zunge der Palästinenser systematisch abgeschnitten wird, wie sollen sie sich mit Worten wehren? Wenn das Wahlrecht der Palästinenser unterbunden wird, wie sollen sie sich mit Kreuzen wehren? Wenn ihre Bewegung eingeschränkt wird, wie sollen sie sich mit Demos wehren? Was erwarten Leute?<

Eine Stunde später ergänzte Ohanwe:

>Lest euch bitte wichtige Informationen über den Konflikt, und was ihn befeuert, durch. Es ist zu hoffen, dass die israelische Apartheidspolitik und die Aggressionen der Hamas und die grausamen Tötungen jeglicher Zivilist*innen ein baldiges Ende nehmen.<

In einem weiteren Post schrieb er:

>Zu sagen, dass blutrünstige Gewalt die direkte Folge von blutrünstiger Gewalt ist. Zu sagen, dass auf menschenverachtende Unterdrückung auch menschenverachtender Widerstand folgt, sollte in keiner logischen Welt kontrovers oder diskussionswürdig sein. Es ist tragisch.<

Am Sonntag postete er unter anderem:

>Die grausamen Terror-Attacken von Hamas gegen Zivilist*innen sind nicht zu rechtfertigen und kein ein ethisches Kampfmittel. Sie sind aber, wie mehrfach schon erläutert, alles andere als überraschend & die erwartbare Konsequenz Israels derzeitig defizitärer Sicherheitspolitik.<

Und ergänzte:

>Nirgendwo wurde und sollte hier Terror relativiert, gerechtfertigt oder schöngeredet werden, im Gegenteil, diese schlimmen Attacken, diese Tötungen sind eine schreckliche Warnung  davor, wozu die  unaushaltbare Besatzungs-Politik auf Dauer führt. Das ist eine gängige Einstufung.<

Eine Beurteilung Malcolm Ohanwes Diskussionsbeiträgen soll hier gar nicht versucht werden, Dass er sich menschenverachtend geäußert hat, ist in jedem Fall eine Meinung, keine Tatsache. Denn dafür fehlt es an einem verbindlichen Bewertungsmaßstab, der ganz offensichtlich nicht existiert – was nicht nur zahlreiche Verweise auf diese tatsächlich außerhalb Deutschlands durchaus weit verbreitete Interpretation von Gewalt und Gegengewalt zeigen, sondern auch die seit anderthalb Jahren zu beobachtende grundverschiedenen Sichtweisen auf den Ukraine-Krieg.

Aus medienjournalistischer Sicht ist etwas anderes relevant: Wer vertritt da bei BR und Arte eigentlich die Meinung, dass Ohanwes Äußerungen menschenverachtend seien? „Der BR“ kann schließlich keine Meinung haben, selbst der Kultursender „Arte“ kann weder sprechen noch lesen noch schreiben; dafür braucht es bisher noch Menschen (oder von diesen entwickelte KI).

Wer also hat am Samstag oder Sonntag in den Sendehäusern verbindliche Meinungen entwickelt und daraus die Tatsache gemacht, öffentlich das Ende der Zusammenarbeit zu verkünden?

Deshalb habe ich BR-Pressesprecher Markus Huber zum einen genau danach gefragt. Zum anderen wollte ich wissen, wie eine solche Entscheidung im BR operationalisiert wird. Gibt es im BR eine Liste mit Autoren, die nicht beauftragt werden dürfen, muss jede Beauftragung zuvor von einer Instanz geprüft werden oder in welcher sonstigen Form wird dafür gesorgt, dass die redaktionelle Autonomie mit einer solchen Entscheidung zuverlässig eingeschränkt wird?

Seine Antwort:

> Der BR distanziert sich in aller Schärfe von Malcolm Ohanwes menschenverachtenden Statements, die nichts mit unserem Verständnis von Journalismus zu tun haben. Seinen Twitteraccount betreibt er privat. Malcolm Ohanwe arbeitet freiberuflich.
Der BR hatte bereits im Sommer entschieden, ihm keine weiteren Aufträge mehr zu erteilen. Diese beschränkten sich zuletzt auf einzelne Moderationen des Formats „Respekt“.
Darüber hinaus bitten wir um Verständnis, dass wir in Personalangelegenheiten nicht im Detail Auskunft geben können.<

Wie fast immer, wenn ich Antwort von der Pressestelle eines Medienunternehmens erhalte, kann ich nur hoffen, dass sich dessen eigene Redakteure und freien Mitarbeiter nicht mit solchen Bürokratenfloskeln abspeisen lassen.

Denn natürlich kann und darf man nicht den Funken von Verständnis haben, wenn eine solche vom Medienunternehmen selbst öffentlich gemachte Personalentscheidung nicht ausführlich begründet und die Entscheidungswege transparent gemacht werden. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gilt das aus bekannten Gründen in ganz besonderem Maße.

Auch wenn wie üblich in den sozialen Medien zahlreiche Nutzer die Sender zu einer Distanzierung aufgefordert hatten, gab es keinerlei unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ohanwes Äußerungen auf dessen privaten Twitteraccount und seiner Tätigkeit für BR und Arte. Viel Zeit für Gespräche und Nachdenken war jedenfalls nicht.

Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind anderes organisiert als Presseverlage, aber die Frage nach der Unabhängigkeit von Redaktionen und Ressorts stellt sich bei ihnen eher noch dringender. Erinnert sei an den medialen Aufschrei, Springer-Verleger Mathias Döpfner könnte Einfluss auf die BILD-Berichterstattung über die FDP genommen haben.

Im Bayerischen Rundfunk kommentierte Simon Sahner dazu vor einem halben Jahr:

>Entscheidend ist, dass auch Meinungen faktenbasiert sind und fair geäußert werden, dass transparent gemacht wird, wie Presseorgane arbeiten und wie sie finanziert werden. Entscheidend ist, dass im Journalismus niemand so viel Macht hat, dass er andere unter Druck setzen oder von sich abhängig machen kann. Wenn all das gegeben ist, dürfen Journalist*innen auch gerne nicht neutral sein.<

Da sollte es den Medienjournalismus erst recht interessieren, wie das bei einem kollektiv finanzierten Sender abläuft: Wer entscheidet dort, dass jemand nicht mehr auf Sendung gehen darf (und wohl auch nicht im Hintergrund recherchierend oder sonst wie tätig sein darf)?

Ergänzungen und Updates:

Während sich die meisten Medien wie der Spiegel mit dem BR-Statement zufrieden geben, hat die taz einige der wichtigen Fragen gestellt.

Der Pressesprecher des Bayerischen Journalistenverband (BJV), Benedikt Frank, hat am Dienstagnachmittag auf die Anfrage reagiert und auf seine individuelle Mitgliederberatung verwiesen. Zum grundsätzlichen Problem des Beschäftigungsverbots von oben äußerte er sich nicht.

16. Oktober 2023: Die Freienvertretung im BR teilt auf Anfrage vom 9.10. u.a. mit: „Wir sind ein Gremium des BR und treten grundsätzlich mit Interna nicht an die Presse. Wir unterliegen auch der Schweigepflicht. Grundsätzlich können 12a-Mitarbeiter:innen (des BR) ohne Grund beendet werden.“

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