Archiv der Kategorie: Spiegel

Korinthe (69): “Sexting” klickt sich gut

Spiegel-Online schreibt in einer Geschichte über den neuen amerikanischen Traum vom “Sexting”:
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Glaubt man einer aktuellen Studie ( Download: pdf), haben bereits rund 20 Prozent aller US-Teenager Nacktbilder von sich über elektronische Medien versandt, berichteten am Donnerstag etliche US-Medien.

Dazu merkt Detlef Gürtler in seinem taz-Blog “Wortistik” u.a. an:

Allerdings ist erstens der Spiegel-Satz glatt gelogen. Laut der Studie haben 20 Prozent der befragten US-Teenager

“sent/posted a nude or semi-nude picture/video of yourself”

und sogar einem Online-Redakteur sollte auffallen, dass “nude or semi-nude” NICHT das Gleiche ist wie “Nacktbilder”.
Und zweitens ist es zwar nicht direkt gelogen, aber höchst angreifbar, aus den “20 Prozent der Befragten” auf “20 Prozent aller US-Teenager” zu schließen. […]

(Ausführlich bitte dort weiterlesen)

Korinthe (67): Kinderglaube für Bachelor-Chickens

vater-staat-sein-geld.gif

Vermutlich war Vater für weitere Recherchen gerade per E-Mail nicht zu erreichen, denn unsere Zweifel an seinem Vermögen, das er sich gutmütig abnehmen lässt, konnte auch der 2. Teil der Story nicht beseitigen, obwohl der vielversprechend betitelt ist: “Vor dem Antrag: Wo kommt das Bafög her, wer kriegt es, wie stellt man das an?” Möglicherweise wird das Geld in den Mensa-Küchen der Studentenwerke gebacken.

Korinthe (66): Fußball-Kapitalismus

Mit einer kryptischen Überschrift lädt Spiegel-Online heute zum Leser-Dialog: Was könnten wir gemeint haben? “Guter Kapitalismus funktioniert wie im Fußball”
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Funktioniert wie wer oder was im Fußball? Dov Seidman hat jedenfalls im Interview etwas ganz anderes gesagt:

Das war aber mal anders. Denken Sie an Fußball! Guter Kapitalismus funktioniert so, dass man in eine Mannschaft investiert und viel dafür tut, dass sie gewinnt. Man ist der Mannschaft verbunden. Vielleicht wettet man sogar, aber nur auf den Sieg.

Lesebeute: Münchhausen Spice

  • Im wöchentlichen “Münchhausen-Test” des Spiegel geht es in dieser Woche (46/2008, S. 16) um die Aussage von Krankenkassenministerin Ulla Schmidt: “Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist seit 20 Jahren praktisch gleich geblieben. Eine ganze Reihe von Reformmaßnahmen haben die Kosten eingedämmt”. Der Spiegel kommt zum Ergebnis: “Ulla Schmidts Behauptung ist falsch. Lägen die Gesundheitsausgaben auf demselben Niveau wie vor 20 Jahren, fielen sie um etwa 40 Milliarden Euro geringer aus.”
    Schmidts Pressesprecher, der für teils sehr kryptische Mitteilungen bekannte Klaus Vater, wuchtet als Entgegnung mit eigenen Zahlen und fazitiert: “Der Spiegel liegt richtig daneben.”

  • Die Ahnungslosigkeit des Spiegel bei seiner Berichterstattung über “Spice”, “deren Zusammensetzung sogar Experten nicht kennen” und über deren Suchtfaktor man wenig wisse, verwundert den verwirrten Schreibgeist von “flüchtige notizen”, der mit drei Links für Erhellung sorgen will, weil “der befragte ‘experte’ ebenso wie der schreiberling nicht ueber einen internetzugang zu verfuegen” schienen.
  • Offener Brief an Ove Saffe zur Moderation der Spiegel-Foren

    Eingereicht von Wolfgang Hoffmann

    Aufruf zur Niederlegung der Doktrin, den SPIEGEL-Leser als ‚saudummen’ Kunden zu behandeln.

    Sehr geehrter Herr Saffe,

    wir gratulieren Ihnen herzlich zu Ihrer Berufung als neuer Geschäftsführer des SPIEGEL-Verlags und setzen einige Hoffnungen auf Ihren Wiedereinstieg in den Verlag.

    Wir, das ist eine Gruppe engagierter Nutzer des SPIEGEL ONLINE Forums, die sich mit der derzeit praktizierten Zensur durch die Moderation im SPON-Forum nicht abfinden wollen und deshalb mit der Redaktion SPIEGEL ONLINE in Kontakt getreten ist.

    Bekanntlich hatten wir die Chef-Redakteure von SPIEGEL Online, Herrn Büchner und Herrn Ditz, in unserem Schreiben vom 18.08.2006 darauf hingewiesen, dass wir immer noch auf eine inhaltliche Antwort der Redaktion SPIEGEL ONLINE auf unsere Vorschläge zu einer transparenteren Moderation im SPIEGEL ONLINE Forum warten (pdf).

    Dennoch ist keine Reaktion seitens des SPIEGEL erfolgt, worauf wir als Folgereaktion auf die ausgebliebenen Antworten weiter unser zensurfreies Forum SPONtanum ausbauen, um damit der willkürlichen Zensur der Meinungsfreiheit im SPIEGEL ONLINE Forum und der Moderation nach Gutsherren-Art wirksam entgegen zu treten.

    Wir möchten Sie deshalb als neuen Geschäftsführer des SPIEGEL-Verlags etwas umfassender über den bisherigen Stand der Dinge informieren und bitten Sie, das o.a. Anschreiben, dessen Anlagen und folgende Punkte zum besseren Verständnis genauer aufzunehmen:

    1. Bekanntlich hatten wir SPIEGEL-Leser und SPIEGEL ONLINE-Foristen dem SPIEGEL konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Moderation im SPON-Forum auf Grund der Auswüchse der willkürlichen Zensur am 14.02.2008 unterbreitet (s. Anlagen unten).

    Leider hat die Redaktion SPIEGEL ONLINE bis heute nicht auf unser Anliegen in angemessener Form geantwortet. Das ist bedauerlich, scheint es doch zu zeigen, dass wir mit unserem Ansinnen nicht ernst genommen werden (s. Anlage). Für uns ist das Thema aber zu wichtig, um es als erledigt anzusehen. Wir meinen, es sollte auch für den SPIEGEL nicht erledigt sein, denn Aussitzen a la Telekom ist keine Lösung für dieses Problem.

    2. Uns als Forum-Benutzer ist natürlich klar, dass wir uns der sogenannten “Netiquette“ beim Eintritt in den Kreis der Forum-Teilnehmer unterworfen haben und diese respektieren – deshalb geben wir aber nicht unsere Persönlichkeitsrechte an der Garderobe von SPIEGEL ONLINE ab.

    3. Des weiteren sollten die Moderatoren darauf hingewiesen werden, dass eine Moderation neutral zu erfolgen hat, das heißt, die persönlichen Ansichten und Einstellungen des Moderators zum behandelten Thema bei seiner Tätigkeit außen vor zu bleiben haben.

    Die derzeitige Praxis der Moderation wird von uns aber als Zensur empfunden, weil weder Gründe für Nichtveröffentlichungen, Veränderungen oder Löschungen nachvollziehbar sind. Diese Praxis steht den Regeln von Wahrheit und Klarheit entgegen und schadet zu allererst dem SPIEGEL selbst enorm.

    4. Wir sind sicher, dass Sie positive Veränderungen in der Art und Weise der Moderationen im SPIEGEL ONLINE initiieren können. Und wir meinen sehr deutlich, dass gerade Sie beim SPIEGEL-Verlag das tun sollten, weil Sie nach wie vor eine Verpflichtung gegenüber der Meinungsfreiheit haben.

    Wir dürfen Ihnen versichern, dass wir an einer qualifizierten Diskussion dieses Themas mit der Redaktion von SPIEGEL ONLINE großes Interesse haben und daran festhalten wollen. Sollten unsere berechtigten Wünsche weiterhin unbeachtet bleiben, sind wir auch vorbereitet, dieses Thema erneut in geeigneter Form einer breiteren Öffentlichkeit zu verdeutlichen.

    5. Bitte nehmen Sie deshalb zur Kenntnis:

    Auf dieser Bühne, z.B. in der Zeitschrift ‚journalist’ Heft 09/2008, des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Artikel ‚Die lieben Leser’, gibt der SPIEGEL keine besonders gute Figur gegenüber anderen Presse-Organen ab, sich unter der Tastatur versteckt zu haben, denn es wirft einen Schatten auf die Unternehmens-Kultur des Hauses, wenn selbst gegenüber Journalisten-Kollegen das Thema Moderation in SPIEGEL ONLINE abgeschottet wird, siehe „Wir danken Ihnen für dieses Gespräch“.

    6. Es helfen auch keine Ausflüchte zu dieser betriebenen Art und Weise der Moderation wg. der Arbeitsüberlastung des Moderatoren-Teams, die sich dann nach erfolgter Recherche bei der FAZ als peinliche Fehler in der Darstellung und Rohr-Krepierer herausstellen.

    7. Die Redaktion SPIEGEL ONLINE lehnt es schlichtweg ab, das Problem Moderation und Zensur im eigenen Bereich zu thematisieren und hüllt sich ein in vorgetäuschte Veränderungen, z.B. eines zusätzlichen Moderators Wolfgang Büchner SPIEGEL ONLINE, der nicht moderiert oder im SPIEGEL ONLINE-Forum aktiv ist.

    Gleichzeitig betreibt man eine rigide Zensur aller Aussagen über das Wesen der Demokratie – auch noch derjenigen Zitate honoriger Personen des Zeitgeschehens wie die zensierten Beiträge mit Bezug Demokratie im Café SPONtan in der Zeit vom 25.-27.03.2008 zeigen, u.a.:

    7.1 Titel: Ernst Zermelo
    Wegen Gesundheitsproblemen gab er seine Professur in Zürich auf und nahm seinen Wohnsitz im Schwarzwald.
    Er arbeitete mit einer Ehren-Professur in Freiburg im Breisgau, musste diese Arbeit aber wieder aufgeben, da er sich weigerte die Vorlesungen mit Hitlergruß zu beginnen, was von Kollegen (Gustav Doetsch und dessen Assistent Eugen Schlotter) denunziert wurde.
    zensiert (Ernst Zermelo)

    7.2 Jetzt ist es hier im Forum geschafft:
    „Es kommt nicht so sehr darauf an, daß die Demokratie nach ihrer ursprünglichen Idee funktioniert, sondern daß sie von der Bevölkerung als funktionierend empfunden wird.”
    zensiert (Rudolf Augstein)

    7.3 [QUOTE=who;2103309]Ich kenne das, Ernst Zermelo! Auch Ernst ist hier durch die Roste gefallen… Und das davor war Helmut Schmidt.[/QUOTE]
    Also stellen wir sie her:
    “Öffentlichkeit ist der Sauerstoff der Demokratie.”
    zensiert (Günter Grass)

    8. Ferner werden Benutzereinstellungen ohne Vorankündigung und ohne Begründung geändert. So ist bei allen Foristen die Signaturfunktion abgeschaltet worden. Bereits existierende Signaturen verschwanden einfach. Die Funktion ‘Wohnort’ wurde bei allen Foristen ohne Angabe von Gründen abgeschaltet. Inzwischen können Foristen auch ihre Registrierung nicht mehr selbsttätig löschen und auf Löschungsgesuche reagiert der Sysop nicht. Solche willkürlichen und unangekündigten Änderungen verstärken den Eindruck, dass das Forum eine Spielwiese für Administratoren ist und nicht ein Freiraum für Lesermeinungen.

    Der SPIEGEL und die Redaktion SPIEGEL ONLINE sollten beachten, dass die Abschottung des Themas ‚Zensur in SPIEGEL ONLINE’ nicht gelingen wird.

    Nehmen Sie bitte ebenfalls zur Kenntnis, dass wir zumindest eine vernünftige inhaltliche Antwort auf unser Anliegen erwarten und simples Abtauchen und Ignorieren nicht akzeptieren werden. Handeln nach altvorderen Prinzipien – agieren ohne zu erklären – ist nach unserer Meinung weder einem mitteleuropäischem Periodikum, geschweige denn den Ansprüchen des SPIEGEL angemessen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Das Forum SPONtanum.
    Action Board

    ______
    Anlagen:

    anschreiben_zum_forum.pdf

    antwort_auf_anschreiben.pdf

    replik_auf_antwort.pdf

    Gespiegelte Irrelevanz

    Mathias Müller von Blumencron, ehemaliger Chef-Blogger und inzwischen Chefredakteur des Spiegel, hält Spiegelkritik.de für irrelevant und wirkungslos. Das hat er frühzeitig genug gesagt, um in seinem Heft 30/2008 in der kleinen Geschichte über die unpolitischen „Beta-Blogger“ Deutschlands journalistisch korrekt nicht weiter auf die Pimpfe einzugehen. Nicht klar ist allerdings, warum sich sein Blatt überhaupt mit Blogs beschäftigt.

    Das Problem wird im Vorspann deutlich: da sprechen die drei Autoren – Markus Brauck, Frank Hornig und Isabell Hülsen – von Online-Schreibern, um dann fortan aber doch nur Blogger zu meinen, also die Nutzer eines stark vereinfachten und stets chronologisch sortierenden Content-Management-Systems (CMS).

    Über diese Fokussierung auf eine Technik bin ich wenige Stunden vor Lesegenuss der „Beta-Blogger“ bei einem Telefonat gestoßen. Mal wieder schreibt eine Studentin ihre medienwissenschaftliche Abschlussarbeit über Blogs, und selbst die kleine Spiegelkritik wird dann befragt, – etwa einmal im Monat kommt eine solche Anfrage. Und da war sie dann wieder, diese dubiose Frage: „Wann haben Sie mit dem Bloggen angefangen?“ Mit dem Bloggen? Wen interessiert das, was kann man damit anfangen? Ich arbeite seit 1995 mit dem Internet und publiziere dort seit 1997 – in Dutzenden Projekten. Ich habe sowohl „Online-Tagebücher“ als auch komplette News-Sites in HTML geschrieben und täglich etliche Male mit Dreamweaver aktualisiert. Dann kamen (Web-)CMS. Und irgendwann war auch WordPress dabei. Aber es war mit Sicherheit kein besonderer Tag, keine Wende, kein Sprung oder Flug in eine neue Dimension.

    Als Bildblogger Christoph Schultheis noch bei seinen Vorträgen erklären musste, was Blogs sind und was Bildblog macht, habe ich einmal – es war in Wiesbaden – gefragt, was denn an Bildblog nun der die das Blog sei – und nur Achselzucken im ganzen Raum als Antwort bekommen. Denn natürlich gab es schon längst Medienmagazine im Internet, auch monothematische. Aber die nannten sich nicht Blog, weil sie eine andere Software genutzt haben oder schlicht nicht wussten, dass sie gerade einen Hype verpassen. Es war der damalige Online- und heute Ganz-Spiegel-Chef Mathias Müller von Blumencron, der die Klassifizierung einmal damit karikierte, dass er sprach: „Wir machen ein Blog, das ist Spiegel Online.“

    Natürlich kann man mal einen neuen Technik-Trend thematisieren, auch im großen Spiegel-Rahmen – wenn denn irgendwie die Relevanz erkennbar wird. Schließlich sorgt jede Thematisierung dafür, dass anderes unbeachtet bleibt – nicht nur Druckseiten sind begrenzt, auch die Konsum-Lust, die Zeit, der gute Wille der Rezipienten sind endlich.

    Aber was ist relevant? Jedenfalls nicht, was Menschen bewegt. Jeder pupsige Gemeindebrief hat mehr Leser als fast alle Blogs – von ihrer „Meinungsmacht“ ganz zu schweigen -, und doch gab es im Spiegel zu dem Stichwort in den letzten 15 Jahren von einer Randbemerkung abgesehen nur zwei bescheidene Schenkelklopfer im Hohlspiegel. Der Spiegel dürfte jede Woche mehrere tausend Leserbriefe erhalten – von denen uns nur ein Bruchteil stark bearbeitet und nach nicht-öffentlichen Kriterien ausgewählt publik gemacht wird. Wo ist das Summary all der engagierten Äußerungen, wo die Auseinandersetzung damit, die Antwort auf Kritik, die Reaktion auf Vorschläge, die Debatte mit den Nicht-Anteilseignern des Spiegel?

    Denn warum sonst sollte man sich als Journalist mit Blogs beschäftigen, wenn nicht um andere Publikationen zur Kenntnis zu nehmen? Natürlich bietet das Internet Partizipationsmöglichkeiten – aber nur soweit, wie auch zur Kenntnis genommen wird, was dort geschieht. Das unterscheidet aber das Netz nicht von Papier, Blogs nicht von Schülerzeitungen, den Spiegel nicht von der – um mal in der Verbreitung nach oben zu gehen – ADAC-Motorwelt.

    Journalismus leidet bei uns in weiten Teilen an einem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Er beschäftigt sich mit Pipifax und lässt das Großeganze außen vor. Deshalb wird auch über jeden Parteitag berichtet, obwohl die ausrichtenden Sekten schon lange nicht in der Lage sind, politischen Willen zu artikulieren. Aber es ist so einfach, sich mit ihnen zu beschäftigen: wenig Aufwand, geringe Kosten – aber volle Medien. Viel anstrengender ist es, die unglaublich vielen Bürgervereinigungen zur Kenntnis zu nehmen, Diskussionsforen zu lesen, sich mit Petitionen zu befassen, die vielen, vielen Experten zur Kenntnis zu nehmen, die sich hobbymäßig für eine Sache engagieren.

    So resümiert der Spiegel denn in seiner Beta-Blogger-Geschichte auch konsequent falsch:

    „Blogs bleiben ein Nischenprodukt. Mal lustig, mal interessant. Sehr oft mit nichts als sich selbst beschäftigt. Aber insgesamt ohne große Bedeutung. Man spricht nicht darüber.“

    Man spricht nicht darüber, weil unsere bedeutungslosen Alpha-Journalisten nur die personalisierbare Einzelgeschichte suchen. Unter anderem den einzelnen Blogger, über dessen Hybris oder wenigstens Arbeitszimmer sich doch irgendwie eine Geschichte machen lassen muss.

    Der Spiegel-Logik folgend erwartet uns wohl in Kürze ein Beitrag über das ach so überschätzte Familiengespräch: keine relevante Werbevermarktung, keine Resonanz in der Welt-Presse – das Geschwätz an deutschen Küchentischen ist – noch vor dem Stammtisch, der wenigstens rhetorisch Erwähnung findet – „ohne große Bedeutung“.

    In Wahrheit manövriert sich allerdings ein Journalismus in die Bedeutungslosigkeit, der alles ignoriert, was Menschen bewegt, der noch daran glaubt, selbst die Agenda zu setzen und die Hürden aufbauen zu dürfen, über die springen muss, wer irgendwie ins Blatt will.

    Dass der Spiegel zu dieser Hybris neigt, zeigt beispielhaft der Beta-Blogger-Text – aber auch die Diplomarbeit von Katja Schönherr „Medienwatchblogs als journalistische Qualitätskontrolle“.

    Die Arbeit wurde bereits im Mai 2007 fertiggestellt, liegt mir aber erst seit kurzem vor. Katja Schönherr stellt u.a. Ergebnisse ihrer Inhaltsanalyse von sechs Medienblogs vor: BILDblog, Dailyerror, Spiegelkritik, Meckern (Zeit), Österreich-Blog (offline) und Krone-Blog.

    Ferner hat sie mit Vertretern der gewatchblogten Medien Leitfadeninterviews geführt.

    Nun liegt der ganzen Arbeit, wie schon der Titel verrät, eine sehr fragwürdige Aufgabenzuschreibung für Medienblogs vor. Denn „Qualitätskontrolle“ ist wahrlich nicht die Aufgabe von Medienjournalismus – dafür stehen ja bisher nicht einmal brauchbare Qualitätsstandards bereit. Zumindest wir bei Spiegelkritik wollen wahrlich kein kostenloses Außenkorrektorat für den Spiegel sein, und Fact Checking haben wir bei unseren eigenen Projekten genug. Doch die Erwartung ist weit verbreitet. Jedes Kollegengespräch über Spiegelkritik führt innerhalb der ersten Minute zu der Frage: „Und, was sagt der Spiegel dazu?“ Und selbst ein dpa-Mitarbeiter schreibt, so er richtig wiedergegeben ist, Medienblogs die Aufgabe zu, Nachrichten zu überprüfen, weshalb er Spiegel-Online für ein bedenkliches Leitmedium hält, das nicht wie BILD durchs BILDblog überprüft werde (ich war zwar bei der NR-Konferenz, aber nicht bei diesem Panel).

    Es ist Hybris oder schlicht Unverstand zu meinen, Medienjournalismus geschehe den Medien zuliebe. Eine Buchrezension schreibt man doch auch nicht für den einen Buchautor, sondern für die (potenziellen) Buch-Leser.

    Katja Schönherr konstatiert:

    Nach Auswertung der Leitfadeninterviews zu Spiegelkritik, DailyError und Krone-Blog sind diese drei Blogs als wirkungslos zu betrachten. Spiegelkritik scheint dabei noch das bekannteste zu sein, weil es auch von anderen Befragten erwähnt wurde. Hier wird der fehlende lange Atem zum Manko: Mit kurzen Überprüfungsrecherchen kommt das Blog nicht an gegen die redaktionsinternen Kontrollmechanismen des Spiegel, wo Fehler ohnehin nicht so offensichtlich sein dürften wie bei Boulevardblättern. SpiegelOnline, repräsentiert durch Mathias Müller von Blumencron, hält die kritisierten Aspekte nicht für relevant genug, als dass sie Korrekturen bedürften.

    Mal abgesehen davon, dass das Korrekturverständnis beim Spiegel für Fremde ohnehin schwer zu verstehen it: es ist absolut nicht unsere Intention, den Spiegel zu irgendetwas zu bewegen. Spiegelkritik ist ein klitzekleiner Beitrag zur Medienkritik. Dabei ist das meiste, was wir aufgreifen, nur beispielhaft. Die diskutierten Beiträge, journalistischen Standards oder Dogmen sind so auch bei vielen anderen Medien zu finden. Der Spiegel bietet aber ob seiner weiten Verbreitung eine gute Grundlage.

    Natürlich weisen wir auch mal auf Fehler hin: wenn sie uns anspringen und sie eine Veröffentlichung wert sind (wobei die Latte dafür inzwischen sehr niedrig hängt, nachdem Spiegel-Online bei der Konkurrenz jeden Stripe zum Skandal aufbläst). Das sind aber nicht mehr als Hinweise darauf, dass selbstredend auch im großen Spiegel nicht alles stimmt. Es ist aber überhaupt nicht unsere Absicht, besonders viele Fehler zu entdecken. Es geht um die Funktion von Journalismus – „Richtigkeit“ ist nur einer von vielen Aspekten.

    Die Forschungserkenntnis, dass der Spiegel den Blog spiegelkritik nicht zur Kenntnis nimmt, ist für uns weder neu noch überraschend – es ist ganz bestimmt so.

    Hinsichtlich der Frage „Wie beurteilen Kritisierte die sie beobachtenden Medienwatchblogs?“ lässt sich für DailyError und Spiegelkritik sagen, dass sie von den Befragten als irrelevant und wirkungslos erachtet werden. Spiegelkritik hatte es lediglich mit einem Eintrag vermocht, den befragten Spiegel-Redakteur zu einer Überprüfung eines Fakts zu bewegen, der sich als richtig herausstellte. Er besucht es seither nicht mehr und hält es für zu „gewollt“. Mathias Müller von Blumencron findet, es würden zu viele Kleinigkeiten thematisiert.

    Der Spiegel schreibt:

    In Deutschland sind die vielen Hände der Amateure ziemlich leer. Blogs bleiben ein Nischenprodukt. Mal lustig, mal interessant. Sehr oft mit nichts als sich selbst beschäftigt. Aber insgesamt ohne große Bedeutung. Man spricht nicht darüber.

    Mit „man“ sind wohl die Spiegel-Redakteure gemeint. Denn natürlich spricht sonst wer darüber, mögen es auch zu jedem Blog nicht viele sein. Sehr schön hat das gestern Olaf in einem Beitrag auf jonet formuliert:

    Ein einzelnes Blog mag nicht journalistisch sein. Viele Blogs hingegen, und das ist der Witz, den auch der Begriff der Blogosphäre nur unzureichend zu fassen bekommt, verdichten die Subjektivität der Einzelmeinungen schnell zu einem – mmja, – interaktiven Kosmos der persönlichen Meinungsbildung.

    Und *zack* haben wir etwas, das journalistische Funktionen erfüllt, auch wenn nicht jedes einzelne Blog journalistisch geführt wird. Und ja, wir befinden uns da erst am Anfang einer sehr interessanten Entwicklung, zumal in Deutschland, wo es um die Diskussionskultur im öffentlichen Bereich nun wahrlich nicht gut bestellt ist.

    Es geht nicht darum, einen einzelnen Blog zur Kenntnis zu nehmen. Es geht darum, als Journalist eine Ahnung von den vielfältigen Debatten, Berichten, Ideen, Kritiken, Aktionen zu haben, die kund getan werden, u.a. in Blogs. Dabei muss niemand Spiegelkritik lesen, und auch die im Spiegel namentlich Geschmähten darf man durchaus übersehen, für irrelevant halten, einfach nicht mögen. Aber unterm Strich sollten Journalisten, die sich mit Gesellschaftsthemen im weitesten Sinne beschäftigen, doch wissen, dass da was läuft. Davon ist der Beitrag „Die Beta-Blogger“ weit entfernt.

    Nur ein Zwischenruf statt Tumult

    Zur Spiegel-Geschichte “Gysis Heimkind” von Markus Deggerich in der aktuellen Print-Ausgabe (S.47) schreibt die darin porträtierte LINKE-Abgeordnete Ulla Jelpke:

    Der Spiegel widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe 30/08 vom 21. Juli 2008 sowohl tatsächlichen als auch erfundenen politischen Tätigkeiten von mir. Dazu merke ich Folgendes an:

    Wenn der Spiegel meint, mir linksradikale Umtriebe vorwerfen zu müssen und auf diese Weise einen Keil zwischen meine Fraktionskolleginnen und –kollegen und mich zu treiben – geschenkt. Erschreckend ist vielmehr, dass Deutschlands führendes Nachrichtenmagazin nicht in der Lage ist, seinen Vorwürfen etwas Substanz beizufügen, und seinen Leserinnen und Lesern stattdessen eine wilde Mischung aus Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Unterstellungen zumutet.
    So müsste ein Spiegel-Redakteur doch eigentlich in der Lage sein, das Protokoll einer Bundestagssitzung zu lesen.

    Markus Deggerich schreibt, es sei richtig laut im Bundestag geworden, als ich vor der Umwandlung des Bundeskriminalamtes in eine „geheim ermittelnde Staatspolizei“ warnte. Ich hätte meine letzen Worte gegen die Entrüstung im Plenarsaal schreien müssen. Ich lerne daraus: Der Spiegel bringt seinen Schreibern nicht bei, wie man Protokolle von Bundestagssitzungen liest.
    Denn tatsächlich vermerkt das Protokoll dieser 170. Sitzung vom 20.Juni 2008 Beifall der LINKEN und einen (1!) Zwischenruf eines SPD-Abgeordneten. Unter Tumult und Empörung stelle ich mir was anderes vor. Zum von Deggerich halluzinierten Skandal kam es erst in verschiedenen Medien, nachdem eine Nachrichtenagentur behauptet hatte, ich hätte das BKA mit der Gestapo verglichen. Das war eine Falschmeldung, der der Spiegel noch eine eigene Erfindung hinterher schob. In diesem Stil geht es weiter in Deggerichs Enthüllungsstory. Dass ich nie im Leben an einem DKP-Parteitag teilgenommen habe – egal, behauptet ist es ja schnell.

    Dass ich angeblich nicht fest verankert auf dem Boden der freiheitlichdemokratischen Grundordnung stünde und deswegen vom Verfassungsschutz beobachtet würde – auch das ist ein Vorwurf, dem man mit wenig Rechercheaufwand nachgehen könnte. Tipp: Ich habe vor einem Jahr meine Verfassungsschutzakte ins Internet gestellt. – da dürfen sich gerne auch Spiegel-Journalisten davon überzeugen, welche Erkenntnisse die Dienste über mich haben.

    Zu den gemeingefährlichen Bestrebungen, die mir da vorgeworfen werden, gehört etwa die Tatsache, dass ich mich gegen Angriffskriege der Bundeswehr ausgesprochen habe und die Bundesregierung auffordere, die Verfassung einzuhalten – was man als „Linksextremistin“ halt so macht, wenn man grad keine Bomben legt.
    Dass ich es insgeheim mit Bombenlegern halte, hat der Spiegel messerscharf aus meinem Engagement gegen das PKK-Verbot geschlussfolgert. Dass man dieses Verbot als Hindernis für eine friedliche Lösung des Türkei-Kurdistan-Konfliktes ansehen kann, ohne gleich „PKK-Sympathisantin“ zu sein – das ist für den Spiegel wohl schon nicht mehr nachvollziehbar.

    Überhaupt ist, wer mit Kurden spricht, dem Magazin offenbar suspekt. Bei meiner kurzfristig angesetzten Türkei-Reise zum Parteitag der im türkischen Parlament vertretenen „Partei für eine demokratische Gesellschaft“ DTP am vergangenen Wochenende in Ankara kann es deswegen unmöglich mit rechten Dingen zugegangen sein. Ahnungslos fabuliert der Spiegel, ich sei „unabgesprochen“, ja als „linke Diplomatin in eigener Mission“ nach Ankara geflogen, um „den Druck in der Geiselfrage zu erhöhen“.

    Dass ich tatsächlich von Menschenrechtsaktivisten angefragt worden war, mich einer Delegation anzuschließen, um die verschleppten deutschen Bergsteiger sicher nach Deutschland zurückzubringen, das war schon wieder zu schwierig, als dass der Spiegel es hätte herausfinden können. Dass meine Reise selbstverständlich mit dem Fraktionsvorstand abgesprochen war, dass sogar das Auswärtige Amt informiert war – das ist für den Spiegel nur ein lästiges Detail, ein Faktum, das man lieber durch eine erfundene Behauptung ersetzt. So fragt man sich, was den Journalisten eigentlich ärgert. Hätte ich meine Türkeireise vielleicht noch vom Spiegel absegnen lassen müssen?
    Nun beschränkt sich der Spiegel-Journalist nicht drauf, falsche Behauptungen zu
    verbreiten, nein: Er liefert auch falsche Erklärungen dafür. Eine böse Kindheit muss
    die Jelpke, das „Heimkind“, wohl gehabt haben. Nun interessiert sich der, nach eigenen Internet-Angaben „im schönen münsterländischen Dorf Elte“ aufgewachsene Deggerich überhaupt nicht dafür, welche Zustände in den Kinderheimen der 1960er Jahre geherrscht haben.

    Das muss er auch nicht. Aber wie abgehoben vom Elend in der Welt, wie gleichgültig gegenüber den Verbrechen der selbsternannten Zivilisation und wie selbstzufrieden muss man eigentlich sein, wenn man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es gute Gründe dafür gibt, den Kapitalismus überwinden zu wollen? Die Methode, derer sich Deggerich bedient, hat einen Namen: Es ist die Psychiatrisierung politisch Andersdenkender.
    Wenn es den imaginierten tiefen Graben zwischen den Auffassungen der Fraktion und meinen persönlichen Auffassungen gäbe, wäre unverständlich, warum ich weiterhin innenpolitische Sprecherin der Fraktion bin und diese auch im Innenausschuss des Bundestages vertrete.

    Ich meine: Sommerloch hin oder her – einen Mindestanspruch an Qualität haben die Leserinnen und Leser des Spiegel auch im Sommer verdient.

    Ulla Jelpke, MdB

    Der Krieg der Anderen

    Und da war sie wieder, die vermeintliche Alternative zur Diplomatie: der Krieg. Und der ist in der kleinen Welt der großen Herrscher über Leben und Tod sehr wahrscheinlich, nein: dringlich. „Der nächste Krieg in Nahost [rückt] schnell heran“, botschaftet der Spiegel aus der Welt der Ganzbesondersschlauen, die man ja bei so existenziellen Fragen fragt.

    Die Kritik Walter van Rossum’s aus dem Januar trifft auf die gegenwärtige Berichterstattung des Spiegel immer noch zu:

    „Wenn fünf Jahr lang über das iranische Atom-Programm berichtet wird, kann Ihnen immer noch kein Mensch sagen, was an diesem eigentlich schlimm sein soll. Das ist ein Informationsdesaster. Stattdessen werden völlig irreale Debatten lanciert. Da wird uns als Alternativen für eine Iran-Politik angeboten: Diplomatie oder Krieg. Die Aufgabe des Journalismus wäre ja nun zu zeigen, dass diese Debatte absurd ist, meiner Meinung nach sogar strafrechtlich nicht erträglich ist. Denn ein Angriffskrieg ist immer noch ein Verbrechen, nach deutschem Recht, nach Völkerrecht – kurz: diese Option gibt es gar nicht. Der Journalismus darf sich nicht auf Pro-Contra-Debatten einlassen, sonst ist er schon eingebunden in ein Spiel, das andere mit ihm machen. Aber dazu muss man eben Fragen stellen.“

    Weil wir an dieser Stelle immer so gerne falsch verstanden werden: Es geht nicht um eine korrekte politische Haltung. Es geht ausschließlich um Journalismus. Und der findet zum Thema Iran weiterhin nicht statt beim Spiegel. Stattdessen schlittert er mit uns, mit seiner Besatzung und mit besten Nahost-Kontakten hinein in den nächsten gut verkäuflichen Krieg.

    Journalismus soll Wissen und Kommunikation für persönliche Entscheidungen ermöglichen. Dazu stellt der Journalismus Fragen und sucht nach Antworten darauf. Guter Journalismus stellt gute Fragen. Schlechter Journalismus stellt Dusselfragen, was gar nicht so schlimm ist, nur viel mehr Zeit kostet und deshalb nicht zum Ziel führt, jedenfalls nicht, bis die besseren Kollegen mit ihrem Job schon fertig sind und der Markt vielleicht abgefrühstückt ist.

    „Der Iran“ – womit vermutlich ein Teil des Herrschaftssystems gemeint ist – „ist böse“, lautet das westliche Diplomatiecredo. Warum?
    „Weil der Iran ein Atomprogramm fährt, das nur vorgeblich der zivilen (und unbedingt förderungswürdigen) Nutzung dient, in Wahrheit aber den Bau von Atombomben vorbereiten soll.“

    Dussel-Journalismus steigt da schon ein, verlangt nach Beweisfotos, diesen schönen Satelliten-Aufnahmen, die dann den Sand rund um eine Atomanlage zeigen, in der gerade waffenfähiges Plutonium zusammengeschraubt wird. Kann man machen. Aber es gibt natürlich auch Satelliten-Aufnahmen, die den Sand rund um eine Atomanlage zeigen, in der ganz brav und völlig en vogue an Brennstäben für Friedens-AKW gezimmert wird.

    Eine zielführendere Frage an dieser Stelle lautet sicherlich: Wer darf was? Und da wird ein Begründungs-Warum mit beantwortet werden müssen. Warum etwa darf (oder muss?) Israel Atomwaffen besitzen, Iran aber nicht? Muss jedem Land der Erde, das Atomwaffen besitzt oder besitzen will, der Krieg erklärt werden, oder nur bestimmten, und ggf. welchen?

    Diese Fragen zu stellen ist gerade keine Frage der politischen Haltung, hat nichts mit rechten oder linken Verkrümmungen zu tun. Es geht schlicht um Orientierung.

    Der Spiegel stellt diese Fragen allerdings nicht. Er geht von irgendeiner – Gott gegebenen? – Machtverteilung aus und sorgt sich auf dieser Basis sogleich, dass Deutschland von diplomatischen statt kriegerischen Lösungen wirtschaftlich hart getroffen wird. Für 5,2 Milliarden Dollar habe Deutschland 2006 in den Iran exportiert. Und Gas will Deutschland vom Iran haben, damit nicht alles von den immer noch nicht ganz lieben Russen kommen muss. Ach Gott, ja, Krieg oder Diplomatie, sag’s mir doch bitte in Dollar.

    Wer darf was? Es ist eine wirklich offene Frage, aber sie muss natürlich so lange gestellt werden, bis all das an Informationen vorliegt, was ein Souverän so braucht zum Souveränsein. Bis klar ist, warum die gerichtliche Todesstrafe (in Deutschland, nicht etwa den USA) menschenrechtswidrig ist, aber eine diplomatische oder militärische Todesstrafe nicht. Woran man die guten Länder erkennt, die Atomwaffen als überlebenswichtige Friedenssicherung haben dürfen, und diejenigen, die damit Böses wollen und darum kräftig was auf die Mütze brauchen.

    Was würde eigentlich Isaak Ben-Israel sagen, wenn ihn der Spiegel fragte, wieviel Zuckerbrot und Peitsche die Atommacht Israel so braucht, um zum Einlenken bewogen zu werden? Im Spiegel darf sich der israelische Generalmajor a.D. und Knesset-Abgeordneter immerhin schon im Hinblick auf den Iran äußern. Fehlt auch noch die Frage, wer hier warum Dompteur spielt.

    LKW-Krieg: Der Osten schlägt zurück

    Das Grundproblem ist vielleicht die Ressortierung. Die Idee war ja mal gut: Neigungsangebote zu schaffen für Leser und Autoren. Da sollte Sachverstand zusammenkommen.

    Olympia etwa: Eigentlich unzweifelhaft Sport-Ressort. Aber dann kommen die Proteste, für sowas Komisches sind Sportredakteure nicht gemacht, daher ist die Auslands-Politik zuständig. Schon bald äußern sich aber auch deutsche Politiker so deutlich, dass Olympia im Deutschland-Ressort bearbeitet werden muss. Wenn sich dann allerdings ausgewiesene Nicht-Politiker verlautbaren – Musiker, Maler, Schauspieler gar – ist ohne Zweifel das Panorama, das Vermischte zuständig. Und bei all dem Rummel erwacht eventuell sogar das Wirtschafts-Ressort und fragt, wer an dem ganzen eigentlich verdient – und wer die Zeche zahlt. Das ganze angereichert mit Korrespondentenberichten von überall auf der Welt, wo Korrespondenten verfügbar sind und das olympische Feuer vorbei kommt oder eben gerade nicht. Als Sahnehäubchen kommentiert die Chefredaktion ein wenig – am Ende haben dann alle etwas “gesagt” – hintergrundberichtet, pressekonferenzverlautbart – wofür eines der Lieblingswörter des SPIEGEL steht: Kakophonie.

    Wie kakophon (oder kakophophil) der Spiegel selbst ist, wissen wir treuen Leser natürlich. Es prädestiniert den Spiegel für jedes – jedes! – WG-Klo und macht ihn zum Orakel von Delphi der Gegenwart.
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    Arme Demokoratie

    Ein Kommentar von Richard Jecht

    Dirk Kurbjuweit sitzt im Hauptstadtbüro und schreibt. Über Demokratie. Die „Gefährdung der Demokratie in Deutschland“. Er blickt auf und schaut versonnen aus dem Fenster. Vielleicht fragt er sich einen Moment lang, ob man Gedanken metaphorisch mit vorbeiziehenden Wolken vergleichen kann, – dann nimmt sein Gesicht einen entschlossenen Ausdruck an. Man meint, in diesem Moment die Last der Verantwortung zu spüren, die auf den Schultern des Journalisten liegt. Er atmet tief durch und beginnt, seine Überlegungen gewissenhaft auszuformulieren.

    So ähnlich könnte einer der im typischen „SPIEGEL-Sprech“ verfassten Beiträge beginnen, die Woche für Woche zuverlässig im „Deutschen Nachrichtenmagazin“ erscheinen. Die es Woche für Woche zu dem machen, was es sein soll: zu einem rund 300 Gramm schweren Magazin, randvoll gespickt mit „Nachrichten-Geschichten“ über Deutschland und den Rest der Welt. Und mit Anzeigen. Und farbigen Abbildungen. Seit gefühlten 2000 Jahren. Seit Konstantin der Große Rudolf Augstein zum Herausgeber ernannt hat.

    Um Demokratie soll es diesmal (20/2008) also gehen, oder vielmehr um die „Gefährdung der Demokratie“. Das ist einerseits lustig, weil Enzensberger und andere dem SPIEGEL schon vor Urzeiten sinngemäß was bescheinigt haben? Genau! Durch die fortwährende Manipulation der Öffentlichkeit die Demokratie zu gefährden! Andererseits enttäuschen die Autoren, weil sie sich einseitig auf das im Westen herrschende Modell der repräsentativen Demokratie kaprizieren, statt ein differenziertes Bild der „Demokratie“ zu zeichnen. Es steht für sie von vornherein fest, daß das westliche Demokratiemodell sowieso das beste oder jedenfalls das am wenigsten schlechte aller politischen Systeme ist. Daher kommt es ihnen auch nicht in den Sinn, es kritisch zu hinterfragen und beispielsweise zu prüfen, ob das neokonservative System in den USA mit einer Demokratie im eigentlichen Sinn überhaupt noch was zu tun hat. Oder – viel interessanter noch – in Erfahrung zu bringen und darzustellen, wie die westlichen Demokratien in anderen Kulturkreisen wahrgenommen werden.

    Stattdessen machen sich die Autoren pauschal zu Anwälten der „Demokratie“ – was im Klartext heißt: des westlichen Regierungssystems – und tun so, als seien sie bzw. als sei der SPIEGEL irgendwie für ihr Bestes zuständig. Arme Demokratie.