In meinem Beitrag Anreißer hatte ich die These aufgestellt, dass Spiegel Online in seinen Teasern Informationen unterschlägt mit dem Ziel, zum Klick zu reizen. In den Kommentaren meldete sich Marco vom Epiblog und schrieb:
dem Spiegel aber einen Strick daraus drehen zu wollen, dass er Teaser dazu nutzt, wofür sie da sind (nämlich um den User zum Klicken zu reizen), halte ich für überzogen.
Ich finde, dies ist zu stark die Sichtweise von Verlagsmanagern. Es ist die Sicht der Leute, die auch sagen würden, dass Artikel dazu da sind, um die Werbung rechts und links davon zu verkaufen. Die journalistische Sicht auf den Teaser wäre: Der Teaser soll dem Leser die wichtigsten Informationen geben, damit er sich schnell informieren kann und – wenn er mehr Informationen will – dann den ganzen Artikel liest.
Zugegeben: Beide Definitionen sind schwammig. Außerdem müssen beide Sichtweisen kein Widerspruch sein, weil ein gut geschriebener Text sowohl die Leser informiert als auch für Aufmerksamkeit für die Werbung drumherum sorgt. Dennoch kann man glaube ich gut aufzeigen, dass bei Spiegel Online tatsächlich mehr die Sicht der Verlagsmanager dominiert. Das Beispiel mit den Fußballberichten (das Endergebnis steht nie im Teaser) hatte ich schon genannt. Hier noch ein Beispiel, es geht im den Text um die endgültige Aufstellung des deutschen WM-Kaders, bei dem es ein paar handfeste Überraschungen gab. Spiegel Online schreibt:
Klinsmann-Crew: Frust und Flitzer
Jürgen Klinsmann hielt sich zurück. Bei der WM im eigenen Land setzt der für Überraschungen bekannte Bundestrainer vorwiegend auf bewährte Kräfte. Zum Aufsteiger avancierte ein schneller Dortmunder. Der Revierrivale Schalke trauert hingegen.
Hier endet der Teaser mit einem klassischen Cliffhanger. Genau wie bei Filmen im Fernsehen: Im spannendsten Moment kommt immer die Werbung. Erst nach dem Klick auf den ganzen Text erfährt der Leser, dass Kevin Kuranyi draußen ist und David Odonkor drin. Die Frage ist nun: Entspricht es eher dem Leserinteresse, im Teaser zu erfahren, dass ein „schneller Dortmunder“ der Aufsteiger ist und jemand von Schalke nicht drin ist? Oder doch die Namen? Ich habe mich am nächsten Tag (16. Mai) in den Zeitungen umgesehen. Die haben nicht das Problem, dass sie im Teaser Informationen vorenthalten müssen, damit der ganze Text angeklickt wird. Bei ihnen gilt: In Unterzeile und Überschrift kommt das, was wichtig ist. Hier also die kleine Presseschau:
Süddeutsche Zeitung: Präsentation mit großer Pointe – Der Bundestrainer überrascht mit der Nominierung von Odonkor, Hitzelsperger und Hanke – Drei Härtefälle: Kuranyi, Ernst, Owomoyela
Frankfurter Runschau: Odonkor aus dem Hut gezaubert – Jürgen Klinsmann stellt seinen finalen WM-Kader vor – und sorgt dabei wieder mal für Überraschungen
Der Tagesspiegel: Die erste Überraschung der WM Neuling Odonkor ist dabei, außerdem Neuville und Hanke – Ernst, Owomoyela und Kuranyi fehlen
Die Welt: Die 23 deutschen Spieler für die Fußball-Weltmeisterschaft stehen seit gestern fest. Mit der Nominierung hat der Bundestrainer allerdings erneut für einige Überraschungen und große Verwunderung gesorgt – Klinsmann bleibt sich treu
Financial Times Deutschland: Modellwechsel bei Mercedes – Ernst, Kuranyi und Owomoyela draußen – Hanke, Nowotny und Odonkor drin: Bei der Nominierung seines WM-Kaders hält Jürgen Klinsmann einige Überraschungen bereit
Hamburger Abendblatt: WM-Kader – Kevin Kuranyi, Fabian Ernst und Patrick Owomoyela bleiben zu Hause – Klinsmann nominiert David Odonkor – Bundestrainer glaubt an den Titel, Torwart Jens Lehmann erhält die Nummer eins
Berliner Morgenpost: WM-Nominierung – Mit der Nominierung hat der Bundestrainer wieder einmal für einige Überraschungen gesorgt – Kein Ticket für Kuranyi, Owomoyela und Ernst – Klinsmann: „Die Mischung stimmt“
Stuttgarter Zeitung: Klinsmanns Wundertüte – ohne Kuranyi, dafür mit Odonkor – Der Bundestrainer enttäuscht bei der Nominierung seines WM-Kaders arrivierte Nationalspieler und macht stattdessen einen Neuling glücklich
Bonner General Anzeiger: Schöne und weniger schöne Seiten des Trainerjobs – WM-Aufgebot: Klinsmann nominiert den Dortmunder David Odonkor, der bislang noch kein Länderspiel absolviert hat. Kuranyi, Ernst und Owomoyela müssen zu Hause bleiben. Nowotny und Hanke im 23 Mann starken Kader
Märkische Allgemeine: Die Klinsmannschaft – Mit der Berufung Odonkors betont der Bundestrainer sein Sonderling-Image
Basler Zeitung: Das sind die Teams der Weltmeisterschaft 2006 – Deutschland ohne Kuranyi
Aargauer Zeitung: Deutschland ohne Kevin Kuranyi
Wiesbadener Kurier: Klinsmanns Paukenschläge – Der Bundestrainer verblüfft das Fußball-Volk – Geheimsache Odonkor
Wiesbadener Tagblatt: Odonkor für Kuranyi zur WM – Auch Hitzlsperger überraschend dabei – Sechs Spieler stehen auf Abruf
Stuttgarter Nachrichten: Kuranyi fliegt aus WM-Kader – Klinsmann: Titel ist unser Ziel
Weser Kurier: Mit Odonkor, ohne Owomoyela – Bundestrainer Klinsmann überrascht mit seinem WM-Aufgebot
Nordwest-Zeitung: Klinsmann nimmt Neuling mit WM-Aufgebot Odonkor nominiert – Kuranyi und Owomoyela nicht dabei – Die Wackelkandidaten Hanke und Hitzlsperger fahren zur WM. Klinsmann glaubt weiter an den Titelgewinn.
St. Galler Tagblatt: Deutschland ohne Kevin Kuranyi
Blick: Klinsi verzichtet auf Kuranyi
Alle Zeitungen haben mindestens einen der Namen in Überschrift oder Unterzeile genannt. Das spricht dafür, dass die Redaktionen die Namen für die wichtigste Nachricht gehalten haben. Meine These: Auch Spiegel Online hat erkannt, dass die Namen der Auf- und Absteiger die wichtigste Nachricht sind – und sie genau deshalb erst im Text genannt.
Locker bleiben. Überreizen und in die Irre führen ist natürlich bäh, aber Cliffhanger sind natürlich ein klassisches Stilmittel des Online-Journalismus, steht in jedem Lehrbuch. übrigens sind auch gute Radio- oder Fernsehmoderationen so gehalten, dass sie Lust auf den folgenden Beitrag machen und nicht bereits alles vorwegnehmen.
Dass ich mal die Sichtweise eines Verlagsmanagers unterstellt bekomme, hätte ich mir ja auch nicht träumen lassen 😉 Zu meiner Verteidigung: Ich selbst verstehe mich absolut und ausschließlich als Journalist und würde mich schön ärgern, wenn meine Artikel nur dem Verkauf von Werbung dienen würden.
Andererseits ist mir schon klar, das PI nunmal die wichtigste Größe sind, die für werbefinanzierte Online-Angebote zählt. Obs mir passt oder nicht. Es kann daher nicht im Interesse des Verlags sein, alle wichtigen Infos schon im Teaser zu verraten. Ist aber natürlich ein schmaler Grat zwischen zu viel verraten (dann klickt der Leser nicht, weil er schon alle relevanten Infos hat – kann ich als Autor ja auch nicht wollen) und leerem Blahblah ohne jeden Infogehalt, das noch nicht mal annähernd neugierig macht. SpOn strauchelt da zugegeben schon häufiger mal in Richtung des letzteren Abgrunds.
Grundsätzlich finde ich das Vorgehen aber schon legitim, solange der Leser dann wenigstens zügig – sprich direkt nach dem ersten Klick auf den Teaser – auch zum Artikel kommt. Eine Frechheit finde ich dagegen die Strategie von BILD oder auch T-Online, den User mittels Teaser von Übersichtsseite zu Übersichtsseite klicken zu lassen, bis er selbst vergessen hat, wo er eigentlich hinwollte.
Tja, das ist der klassische journalistische Unterschied zwischen dem Online-Teaser und dem Print-Vorspann: Erster arbeitet mit dem so genannten Cliffhanger als Stilmittel. Das versucht übrigens nicht nur SPON, sondern alle gut gemachten Websites.
Marco schreibt: „Ist aber natürlich ein schmaler Grat zwischen zu viel verraten (dann klickt der Leser nicht, weil er schon alle relevanten Infos hat – kann ich als Autor ja auch nicht wollen)“
Würdest Du sagen, dass die Infos, die Du in den Brottext schreibst, nicht mehr relevant sind? Doch wohl hoffentlich nicht! Ich würde sagen: Alle Infos im Text sind relevant (sonst sollten sie nicht in den Text) und die relevantesten Informationen sollten in Überschrift und Unterzeile. Die Leser können dann entscheiden, ob sie noch mehr relevante Informationen möchten und auf den Text klicken, oder nicht.
Ich weiß nicht: Ich ärgere mich und fühle mich veräppelt, wenn ich merke, dass die relevanten Informationen nicht an der prominentesten Stelle stehen, sondern erst im Brottext. Wenn es vielen Lesern so geht, muss ein Onlinemagazin natürlich aufpassen auf die Leser-Webseite-Bindung. Ärgert ihr Euch nicht?
Ich wollte keine Unterscheidung zwischen relevant und irrelevant machen (irrelevante Infos haben in einem Artikel eh nichts zu suchen), sondern zwischen relevant und weniger relevant. Und das bezog sich schon stark auf das genannte Beispiel mit dem Fußballspiel oder der Kader-Nominierung: Da ist die relevanteste Info einfach der Spielausgang bzw. die Namen der Spieler – außenrum wird diese Kerninformation doch eigentlich nur noch erklärt (wie kam’s dazu? etc.) Das brauche ich aber nicht zwingend – wenn ich weiß, Bayern München hat 2:0 gegen Arsenal Timbuktu gewonnen, reicht mir das doch meist schon.
@ F. S.: Dem ist nichts hinzu zu fügen. Immerhin muss mit Onlinejournalismus, wie mit jeder anderen Art der Berichterstattung Geld verdient werden. Man macht ja auch kein Magazin-Cover, dauf dem bereits alles verraten wird.
wo ist das problem? bei sportmeldungen informiere ich mich sowieso zuerst bei kicker.de oder sport1.de und dann bei spiegel online und konsorten.
cliffhanger machen neugierig. irgendwo ´habe ich mal gelesen, dass der einleitungstext in den rest des textes ziehen soll. und das macht dieser teaser doch perfekt. ein teaser der alles verrät ist eben kein teaser.
Gerade das Beispiel mit den Fußballergebnissen im Teaser – ich fände es sogar ausgesprochen schlecht, wenn sie sich direkt dort befänden. So würde man beim einfachen Überfliegen der Hauptseite bereits die Ergebnisse kennen (müssen). Es ist allerdings durchaus üblich, dass man Sportereignisse aufnimmt, zu einem späteren Zeitpunkt sehen möchte und Vorabinformationen meidet wie der Teufel das Weihwasser.
Wenn ich also das Ergebnis sehen möchte, klicke ich drauf. Wenn nicht, lasse ich es bleiben. Meines Erachtens sehr sinnvoll.
Die Thematik könnte man nun neu anheizen, denn was Spiegel scheinbar vor vielen Jahren bereits gemacht hat, ist zu einem neuen Trend geworden.
Dieser schwappt mit Heftig.co nach Deutschland