Da dachten wir erst, die Ösis sind genauso dösi – aber es war nur eine Ösi-Meldung in einer vorbildlich preußischen Postille. In gewohnter Manier wird darin für eine Lappalie (blanker Busen in leerer Kirche) orakelt: “ [Der Frau] drohen bis zu sechs Monate Haft oder eine Geldstrafe wegen ‚Herabwürdigung religiöser Lehren‘.“ Das schreiben Journalisten gerne: jemandem droht eine hohe Strafzahlung oder knallharter Knast. Vier Jahre Knast für Nackt-Selfie (USA), zehn Jahre Gefängnis für Diebstahl (Malaysia), und als absoluter Klassiker drohen täglich irgendwelchen armen Würstchen „250.000 Euro Ordnungsgeld oder ersatzweise sechs Monate Ordnungshaft“.
Merkwürdig, dass viele Journalisten das nicht merkwürdig finden: Sollte die Welt wirklich so alptraumhaft sein und Richter so brutal strenge Väter – aber immer natürlich „im Namen des Volkes“?
Fakt ist: was Journalisten ständig drohen sehen, ist reine Fiktion. Eine gesetzliche Höchststrafe ist nicht dazu da, bei jedem Pups als maximale Drohkulisse aufgebaut zu werden, und sie anzuführen ist nicht nur sensationsheischend, sondern in den meisten Fällen schlicht falsch, weil eben diese Höchststrafe für den konkreten Fall nicht „droht“. Eine Orientierungshilfe könnte vielleicht die Strafzumessung in anderen, irgendwie vergleichbaren Fällen sein – die man erstmal recherchieren müsste, und dies unter dem großen Vorbehalt, dass sich zu einem noch nicht vor Gericht verhandelte Fall kaum ein Vergleichsfall finden lassen dürfte (denn dann könnte man sich die Verhandlung ja sparen, wenn schon alles klar wäre). Die Angabe von horrenden Gefängnisstrafen, die in keinerlei Verhältnis zur sanktionswürdigen Tat stehen, schaden auch dem Rechtsempfinden in der Bevölkerung.
Für den Verstoß gegen eine Einstweilige Verfügung (EV) droht jedenfalls im echte Leben einer Privatperson niemals ein Ordnungsgeld von 250.000 EUR, ganz so, wie es der mittelprächtige Menschenverstand sagt. Die Androhung von „bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld“ ergibt sich schlicht aus dem Gesetz, § 890 ZPO. Der Betrag sagt überhaupt nichts darüber aus, wie ein tatsächlicher künftiger Verstoß geahndet wird. Die Euro-Angabe in Nachrichten ist daher in den allermeisten Fällen schlicht eine Desinformation.
Dass es für einen nackten Busen kein halbes Jahr Gefängnis geben wird, auch nicht in Österreich, sollte einem das Rechtsgefühl sagen. Und selbst wenn der Fall so fürchterlich religionslästerlich wäre: auch in Österreich werden Freiheitsstrafen unter zwei Jahren Gefängnis bei Ersttätern i.d.R. und gemäß Gesetz zur Bewährung ausgesetz. Ein halbes Jahr Gefängnis droht also nun ganz und gar nicht. So normal ist unsere Welt manchmal. Schade natürlich für die Meldung.
Link:
Bewährungsstrafe Deutschland
Österreichisches StGB: Herabwürdigung religiöser Lehren
Weitere Beispiele:
Einem Steinewerfer drohten nach fachkundiger Einschätzung des Hessischen Rundfunks (Hessenschau) 10 Jahre Gefängnis. Verurteilt wurde er dann zu 14 Monaten Haft auf Bewährung. (3. Juni 2015)
Auch einem „Deutschland sucht den Superstar“-Gewinner drohten laut Express-Journalismus 10 Jahre Haft wegen Betrugs (18. mai 2015). Das Urteil: 21 Monate auf Bewährung.
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