Schriftliche Interview-Fassungen weichen in der Regel vom tatsächlich geführten Gespräch ab: Es werden nicht nur ein paar „Ähs“ getilgt und ins Nichts mäandernde Sätze umgeleitet, oft wird sehr umfangreich zusammengefasst, gekürzt, fokussiert. Dabei wollen nicht nur die Interviewten gerne noch im Nachhinein ihre Brillanz stärker zum Leuchten bringen, auch die Interviewer hübschen ihr Wissen, ihre Fragen und ihre Schlagfertigkeit gerne etwas auf. Der in Deutschland immer wieder diskutierte Abschluss dieser Nach- und Umbearbeitungen heißt Autorisierung: der Interviewte muss die ihm zugeschriebenen Aussagen freigeben. Das ist bei einem Live-Interview weder möglich noch nötig, aber sobald Veränderungen am Original vorgenommen werden ein logisches Korrektiv. (Und eine solche Autorisieurng hat nichts mit einer Freigabe von eigenständigen Berichten zu tun!)
Wie weit Original (Audio) und veröffentlichte Form (meist Text) auseinander liegen können sehen wir gelegentlich, wenn beides veröffentlicht wurde, z.B. die Diskussion von Böhmermann, Lanz und di Lorenzo über „False Balance“ und desinformierende Meinungen.
Bei der Richtigkeits-Prüfung eines Zitats in einem Interview ist nun soviel Material zum Unterschied zwischen realem und veröffentlichtem Material entstanden, dass wir es exemplarisch hier veröffentlichen. Dabei kann man die Abweichungen, das sei gespoilert, als mehr oder weniger unerheblich betrachten, man kann in ihnen aber auch größere Eingriffe in das tatsächlich gesprochene Wort sehen.
In der dritten von bisher fünf Folgen seines Podcasts „Con & Pro“ diskutierte Welt-Redakteur Constantin van Lijnden mit WDR-Journalist und Leiter des Magazins Monitor Georg Restle. „Sie sind Journalist und bezeichnen Neutralität als rechten Kampfbegriff“ heißt die Audio-Version davon (09.09.2021), „‚Wer Haltung zum Selbstzweck erklärt, ist für mich kein guter Journalist‘“ ist die Textversion überschrieben (21.09.2021). An einer Stelle sieht Restle sich von van Lijnden falsch zitiert. In der Textfassung geht der Kern des Disputs so:
>WELT [van Lijnden]: Sie tun sehr viel mehr als das. Was Sie betreiben, ist keine wohlerwogene Detailkritik an den rechten Auswüchsen der AfD, sondern eine aktive Kampagne gegen die gesamte Partei. In einem „Tagesthemen“-Kommentar haben Sie gar behauptet, sie fungiere „als parlamentarischer Arm“ für eine „rechtsextremistische Bewegung, die ihre Stärke und ihre Hoffnung auf den Umsturz aus den Wahlerfolgen der AfD bezieht“. Wer dieses „Nazi-Netzwerk“ schwächen wolle, dürfe der AfD „keinen Raum, keine Bühne und erst Recht keine Stimme geben“. […]
Restle: […] Abgesehen davon habe ich nie gesagt, dass die AfD als parlamentarischer Arm der rechtsextremen Szene „fungiere“, sondern dass die Partei von der rechtsextremen Szene als genau das betrachtet wird. Dies entspricht schlicht den Fakten und ist gut zu besichtigen, wenn Sie sich, wie wir es bei „Monitor“ seit Jahren machen, innerhalb der rechten Szene umschauen. […]
WELT [van Lijnden]: […] So auch im besagten Kommentar, den ich völlig zutreffend zitiert habe. […]<
Unsere Frage war: wer hat nun recht? Im angesprochenen Tagesthemen-Kommentar vom 11.07.2019 sagt Restle (übereinstimmend in Ton und Schrift):
>Wer den Rechtsextremismus in Deutschland verstehen will, muss begreifen, dass wir es mit einem weitreichenden und professionell organisierten Netzwerk zu tun haben: Mit rechten Kampfsportevents und Rechtsrockkonzerten, mit völkischen Jugendlagern und Studienzentren – und engsten Verbindungen zum Rechtsterrorismus. In diesem Netzwerk sind die „Identitären“ eng verwoben. Und für dieses Netzwerk erfüllt die AfD eine zentrale Funktion: Als parlamentarischer Arm einer rechtsextremistischen Bewegung, die ihre Stärke und ihre Hoffnung auf den Umsturz aus den Wahlerfolgen der AfD bezieht. Wer dieses Nazi-Netzwerk also schwächen will, darf der AfD keinen Raum, keine Bühne und erst recht keine Stimme geben. <
Restle sagte also, die AfD erfülle eine Funktion für den Rechtsextremismus in Deutschland, van Lijnden gibt dies mit dem Verb „fungieren“ wieder, was nicht zu beanstanden ist. Jedenfalls ist Restles Behauptung, er habe nur davon gesprochen, die AfD werde von der rechtsextremen Szene als parlamentarischer Arm betrachtet, ohne zu behaupten, dass sie diese Funktion tatsächlich erfülle, von der Wahrheit weiter weg als die Übersetzung von ‚eine Funktion erfüllen‘ mit „fungieren“. (Unnötig war van Lijndens minimale Veränderung der Originalaussage „als parlamentarischer Arm einer rechtsextremistischen Bewegung“ zu „’als parlamentarischer Arm‘ für eine ‚rechtsextremistische Bewegung’“.)
Doch wie verlief die Gesprächspassage tatsächlich? Ausweislich der Podcast-Version (die natürlich geschnitten sein kann, aber ansonsten im jeweiligen Wortlaut originalgetreu sein dürfte) folgendermaßen (zunächst stark gekürzt auf die relevanten Passagen):
> Restle: […] Und ich sage Ihnen ganz klar. Ich habe einmal in einem Tagesthemen-Kommentar die Formulierung verwendet, dass die rechtsextremistische Szene die AfD als ihren verlängerten Arm in den Parlamenten betrachtet. […] Und Sie werden keine rechtsextremistische Veranstaltung finden, in der die AfD nicht als solche begriffen wird. […]
van Lijnden: […] Und es ist schön, dass Sie den Tagesthemen-Kommentar erwähnen, in dem Sie eben die AfD als parlamentarischen Arm der rechtsextremen Szene bezeichnen…
Restle: Nein, nein, ich habe gesagt, die rechtsextreme Szene beteiligt… – sehen Sie, Sie sind nicht exakt in Ihrer Beschreibung und [im] Zitieren. Ich habe gesagt, dass die rechtsextreme Szene diese Partei als ihren parlamentarischen Arm betrachtet, und das tut sie.
van Lijnden: […] Aber der Punkt ist, wenn man Ihren Kommentar hört – und ja, nun können Sie sagen, ich habe den gerade nicht ganz exakt wiedergegeben, aber vielleicht ist dieser kleine Mangel an Exaktheit ja auch der Tatsache geschuldet, dass Ihr Kommentar in seiner ganzen Struktur, in der er dann nämlich auch noch in weiten Teilen sogar von engsten Verbindungen zum Rechtsterrorismus die Rede ist. […]<
In dieser Original-Version ist das Tagesthemen-Zitat also kein Vorhalt des Interviewers, sondern der Befragte bringt es von sich aus ein, in wie oben gezeigt nicht ganz korrekter Weise, auf die er dann gleichwohl insistiert. Und van Lijnden behauptet nicht, er habe „völlig zutreffend zitiert“ (so in der Textfassung), sondern er habe das Zitat (ob ihm vorliegend oder nur gerade von Restle gehört) „nicht ganz exakt wiedergegeben“ und dies sei ein kleiner „Mangel an Exaktheit“.
Wer sich die Mühe macht, beide Versionen zu vergleichen, wird weitere Unterschiede feststellen, die über Formveränderungen hinausgehen. So sagt van Lijnden in der Textversion:
> Aber es gibt auch Verzahnungen zwischen der linksextremen Szene und der Linkspartei, oder zwischen einer Weltuntergangssekte wie Extinction Rebellion und den Grünen. Trotzdem würden Sie niemals auf den Gedanken kommen, diese Parteien in ähnlicher Weise in Mithaftung zu nehmen.<<
Im Podcast hingegen sagte van Lijnden:
>Aber wissen Sie, es gibt auch Verbindungen von Marx 21 zur Linkspartei, es gibt auch Verbindungen von Extinction Rebellion und anderen bizarren Weltuntergangssekten zu den Grünen. Aber deshalb würde es mir ja nicht einfallen, sozusagen zu sagen, die Grünen sind eine bizarre Weltuntergangssekte.<<
Die Textfassung des Gesprächs wurde von Georg Restle seinerzeit autorisiert, wie Constantin van Lijnden auf Anfrage mitteilt.
Wer den Disput im Zusammenhang lesen möchte, wir dokumentieren abschließend den Gesprächsverlauf (um Ähs und einige Wortfragmente und Wiederholungen gekürzt) von ca. Minute 26:00 bis 35:40. Zum Vergleich folgt danach der oben bereits gekürzt zitierte Abschnitt der Textfassung ungekürzt, weil das Interview nicht frei zugänglich ist (Welt Plus), hier das Zitat aber für die Auseinandersetzung notwendig ist (§ 51 UrhG).
Podcast-Transkript
Restle: […] Und ich sag Ihnen ganz klar. Ich habe einmal in einem Tagesthemenkommentar die Formulierung verwendet, dass die rechtsextremistische Szene die AfD als ihren verlängerten Arm in den Parlamenten betrachtet. Dafür wurde ich nicht nur von der AfD, sondern auch von vielen Kolleginnen und Kollegen verprügelt, weil ich mich da zu weit aus dem Fenster gewagt hätte. Wir waren wochenlang, monatelang in der rechten Szene – insgesamt sind wir es jahrelang – unterwegs. Und Sie werden keine rechtsextremistische Veranstaltung finden, in der die AfD nicht als solche begriffen wird. Wer das bezweifelt, sag ich, hat dann auch nicht tief genug recherchiert oder sich nicht tief genug mit den Dingen befasst. Ich behaupte sowas nicht einfach, das sind nicht irgendwelche Urteile, für die ich keine Fakten oder Belege hätte. Sondern, ich komme zurück und vielleicht ist das der Kern unserer Debatte, solche Einschätzungen, solche Einordnungen kann sich nur jemand erlauben, der das auch recherchiert hat. Sich einfach hinzustellen und zu sagen, die AfD ist eine im Kern rechtsextremistische Partei, ist zu wenig, man muss es dann auch belegen. Und genau den schwierigen und steinigen Weg, das behaupte ich jedenfalls für die Redaktion Monitor, den gehen wir seit Jahren.
van Lijnden: Ja, wir reden viel über die AfD aber mir scheint das nicht ganz unpassend zu sein, denn wenn es um die Frage nach Haltung im Journalismus geht, dann ist es zwar nicht ausschließlich aber eben doch sehr häufig eine Haltung gegen Rechts und somit sind diese beiden Dinge etwas miteinander verwoben. Und es ist schön, dass Sie den Tagesthemen-Kommentar erwähnen, in dem Sie eben die AfD als parlamentarischen Arm der rechtsextremen Szene bezeichnen…
Restle: Nein, nein, ich habe gesagt, die rechtsextreme Szene beteiligt – sehen Sie, Sie sind nicht exakt in Ihrer Beschreibung und [im] Zitieren. Ich habe gesagt, dass die rechtsextreme Szene diese Partei als ihren parlamentarischen Arm betrachtet, und das tut sie.
van Lijnden: Ja, das ist aber natürlich auch nicht erstaunlich, welche andere Partei sollte sie denn wohl als ihren parlamentarischen Arm betrachten? Genauso wie natürlich die linksextreme Szene eben die Linke als ihren parlamentarischen Arm betrachtet. Aber der Punkt ist, dass wenn man Ihren Kommentar hört – und ja, okay, nun können Sie sagen, ich habe den gerade nicht ganz exakt wiedergegeben, aber vielleicht ist dieser kleine Mangel an Exaktheit ja auch der Tatsache geschuldet, dass Ihr Kommentar in seiner ganzen Struktur, in der er dann nämlich auch noch in weiten Teilen sogar von engsten Verbindungen zum Rechtsterrorismus die Rede ist. Ja, die sollen jetzt wiederrum nicht unmittelbar zur AfD bestehen sondern zur rechtsextremen Szene, die wiederum die AfD als ihren parlamentarischen Arm wahrnimmt und so weiter, aber der Punkt ist: Sie verrühren da eben eine Partei, eine immerhin nicht verbotene, nicht mal und schon zum allerwenigsten zum damaligen Zeitpunkt auch nur irgendwie unter Beobachtung stehende Partei, die, wie Sie selber sagten, in einigen Bundesländern von einem Viertel der Bevölkerung gewählt wird, mit knallharten Nazis und sogar mit Rechtsterroristen und das ist vermutlich genau der Grund, warum Ihnen von dort ein solches Ausmaß an Ablehnung entgegenschlägt. Es spricht ja nichts dagegen, auf diese Verbindungen, insoweit sie real bestehen, hinzuweisen. Aber wissen Sie, es gibt auch Verbindungen von Marx 21 zur Linkspartei, es gibt auch Verbindungen von Extinction Rebellion und anderen bizarren Weltuntergangssekten zu den Grünen. Aber deshalb würde es mir ja nicht einfallen, sozusagen zu sagen, die Grünen sind eine bizarre Weltuntergangssekte. Und es mag auch sein…
Restle: Jetzt rühren Sie aber einiges durcheinander hier, mit Verlaub, wenn ich das sagen darf. Also es macht ja wohl einen erheblichen Unterschied, ob die Leute, die solche Dinge behandeln, massiv in den Parlamenten der AfD vertreten sind, auf den Landeslisten der Parteien vertreten sind, ja sogar, ich brauch ja keine Namen nennen, mit Herrn Höcke eine maßgebliche Figur in dieser Partei darstellen, also ich finde Sie verharmlosen jetzt auf erstaunliche Art und Weise die Gefahren, die von diesem organisierten Rechtsextremismus, der in der AfD mit vertreten wird, und zwar an höchster Funktionärsstelle mitvertreten ist, das verharmlosen Sie in meinen Augen jetzt maßlos, indem Sie alles Mögliche zusammengerührt haben.
van Lijnden: Nein, das ist nicht meine Absicht, das zu verharmlosen, ich möchte nur darauf hinweisen, dass es zwischen der Aussage ‚Die AfD ist eine ganz normale, demokratische Partei wie alle anderen da gibt’s überhaupt kein Problem‘ und der Aussage ‚Die AfD ist eine durch und durch völkische, rechtsextreme Partei aus Demokratiefeinden, die das Grundgesetz abschaffen würde, sobald sie die Gelegenheit dazu bekäme‘, ein weites, weites Feld gibt. Und dass ich eben den Eindruck habe, dass sozusagen unter dieser Überschrift ‚Haltungsjournalismus‘ oder ‚Werte orientierter Journalismus‘, wie Sie es glaube ich nennen, Sie dazu neigen, ein bisschen vielleicht zu vorschnell – oder sagen wir mal: zu wenig in Betracht zu ziehen, dass es eben natürlich auch in dieser Partei unterschiedliche Strömungen gibt, und zu schnell da alles so in einen Topf zu werfen. Ich frage mich das generell, jedenfalls in meinem Berufsverständnis ist es eigentlich immer wieder ein zentrales Motiv so der Wert des Zweifels oder die Möglichkeit überrascht zu werden. Also man hat vielleicht, wenn man eine Recherche anfängt, eine bestimmte Vorstellung, wie die Rollen verteilt sein könnten, und dann stellt sich heraus, ach ne, es ist gar nicht so. Selten sind am Ende die Guten so gut und die Bösen so böse, wie sie vielleicht auf den ersten Blick geschienen haben. Aber in Ihrer – und ich nehme Sie jetzt ein bisschen vielleicht ungerechter Weise, aber nun unterhalten wir uns gerade miteinander, ein bisschen pars pro toto auch für weite Teile der Berichterstattung über die AfD in den Öffentlich-rechtlichen – habe ich eben oft das Gefühl, dass diese Differenzierung und dieses Gespür für Zwischentöne und diese Bereitschaft, auch mal anzuerkennen, dass zumindest nicht alles…, ja dass eben nicht die gesamte AfD Björn Höcke ist, so nicht vorhanden ist.
Restle: Das haben wir auch nie behauptet. Das würde ich auch nie behaupten übrigens und da werden Sie auch keine Artikel und keinen Kommentar und keinen Monitor-Beitrag finden. Sondern wir kümmern uns darum um zu sagen, wie relevant und wie wichtig sind rechtsextremistische Kreise in der AfD und welche Rolle spielen sie gegenüber dem, was andere möglicherweise über diese Partei sagen und behaupten. Das ist in dem Sinne ein Wahrhaftigkeits-Check. Da sind wir Journalisten gefordert. Das tun wir übrigens bei allen anderen Parteien auch. Es ist ja nicht so, dass wir uns nur oder ausschließlich um die AfD kümmern würden. Wir kümmern uns ja in der Regel und viel ausführlicher als regierungskritisches Magazin um Parteien, die an der Regierung beteiligt sind. Also wir schauen ja sehr, sehr genau hin, welche Rolle spielt beispielsweise Olaf Scholz im Wirecard-Skandal oder wir schauen uns an, welche Auswüchse hat der Masken-Skandal der CDU als Regierungspartei. Das sind ja Dinge, die unser Alltagsgeschäft und unser und auch mein Verständnis, womit wir uns relevanterweise beschäftigen sollten, weitaus mehr prägen als nur die AfD. Die AfD spielt in unserer Betrachtung und der Darstellung dessen, was wir machen, ja insgesamt gesehen dann eine untergeordnete Rolle. Klar kümmern wir uns, ist das ein Teil unserer Berichterstattung, weil wir sagen, wir wollen wissen und wir wollen selber rausfinden und dann auch einordnen: wie gefährlich ist diese Partei? Und ist es eine ganz normale Partei wie alle anderen, die wir im Rahmen einer Ausgewogenheitsdarstellung gleichermaßen berücksichtigen – Sie hatten ja, §26* ist es glaube ich, WDR-Gesetz angesprochen. Niemand ist, und ich zuletzt, gegen Ausgewogenheit, niemand ist dagegen und ich auch nicht, alle zu Wort kommen zu lassen und im Sinne einer Vielfalt…
van Lijnden: Aber das sind Sie durchaus…
Restle: …von Meinungen und zu Schlüssen zu kommen. Aber, und das ist für mich eben der Punkt, deswegen habe ich §5 WDR-Gesetz zitiert, da, wo es darum geht, Grundwerte unserer Verfassung zu verteidigen und wo wir Angriffe auf diese Verfassungswerte sehen stellen wir es auch als solches dar. Das ist die Grenze dieser Ausgewogenheit, da findet diese Art von Meinungspluralismus ein Ende. Und nur eine Anmerkung: Ich bin auch nicht für ein Verbot der AfD. Ich bin dafür, dass sowas sichtbar wird, ich bin dafür, dass Leute auch eine solche Partei wählen können. Ich finde nur nicht, dass wir deren Wahlkampfpropaganda, vor allem wenn wir sie für gefährlich halten, dass wir der eine breite Bühne geben sollten. Das ist der Unterschied.
van Lijnden: Und somit, dass man sie beispielsweise eben nicht zu Wort kommen lassen sollte, Stichwort Talk-Show-Einladungen und ähnliches, also da schließt sich dann ja ein bisschen der Kreis. Ich frage mich…
Restle: Doch, wir können sie…, ich bin auch nicht dagegen sie einzuladen, auch das sage ich nicht. Natürlich kann man sie einladen, sollte sie einladen, man sollte gut vorbereitet sie einladen und sollte das, was da von sich gegeben wird, einem Wirklichkeits- und Wahrhaftigkeits-Check unterziehen, wie das sich für Journalisten gehört. Ich habe nur gesagt, wir sollen diesen Parolen keine Bühne geben, in dem Sinne sollten wir der AfD keine Bühne geben. Ich bin immer dafür, sich kritisch mit der AfD auseinanderzusetzen und habe in dem Sinne auch nichts dagegen, wenn gut vorbereitete Journalisten – das sollten sie immer sein und nicht nur bei dem Thema – sich eben auch AfD-Politikern gegenüberstellen. Nur was wir nicht machen sollten: wir sollten ihre durchsichtigen Narrative nicht einfach übernehmen, also von Altparteien sprechen, von Systemmedien sprechen, all diese Begriffe, die ja rein propagandistische Funktionen haben. Oder das Narrativ, dass die Partei sich insgesamt selbst als eine bürgerliche Partei bezeichnet. Dann müssen wir uns dann tatsächlich schlau machen und schauen, stimmt das denn oder stimmt das denn nicht. Aber ich glaube, wir haben das jetzt erschöpfend dargelegt.
Auszug des Schriftfassung des Gesprächs
WELT: Sie tun sehr viel mehr als das. Was Sie betreiben, ist keine wohlerwogene Detailkritik an den rechten Auswüchsen der AfD, sondern eine aktive Kampagne gegen die gesamte Partei. In einem „Tagesthemen“-Kommentar haben Sie gar behauptet, sie fungiere „als parlamentarischer Arm“ für eine „rechtsextremistische Bewegung, die ihre Stärke und ihre Hoffnung auf den Umsturz aus den Wahlerfolgen der AfD bezieht“. Wer dieses „Nazi-Netzwerk“ schwächen wolle, dürfe der AfD „keinen Raum, keine Bühne und erst Recht keine Stimme geben“.
Es stimmt natürlich, dass es Verzahnungen zwischen der rechtsextremen Szene und der AfD gibt. Aber es gibt auch Verzahnungen zwischen der linksextremen Szene und der Linkspartei, oder zwischen einer Weltuntergangssekte wie Extinction Rebellion und den Grünen. Trotzdem würden Sie niemals auf den Gedanken kommen, diese Parteien in ähnlicher Weise in Mithaftung zu nehmen. Dass Sie es bei der AfD für richtig halten, liegt genau an dem, was ich zuvor beschrieben habe: Sie versuchen gar nicht erst, ihre politische Antipathie zu temperieren, sondern sehen sich als journalistischen Verfassungsschützer.
Restle: Ich kann Ihnen versichern, dass ich das journalistisch wie emotional alles sehr nüchtern betrachte. Die Rolle des „journalistischen Verfassungsschützers“, wie Sie es nennen, steht übrigens so in den Rundfunkgesetzen. Im WDR-Gesetz heißt es unmissverständlich, dass wir die demokratischen Freiheiten unserer Verfassung zu verteidigen haben. Daran haben wir uns als öffentlich-rechtliche Journalisten und Journalistinnen zu orientieren. Abgesehen davon habe ich nie gesagt, dass die AfD als parlamentarischer Arm der rechtsextremen Szene „fungiere“, sondern dass die Partei von der rechtsextremen Szene als genau das betrachtet wird. Dies entspricht schlicht den Fakten und ist gut zu besichtigen, wenn Sie sich, wie wir es bei „Monitor“ seit Jahren machen, innerhalb der rechten Szene umschauen.
Im Übrigen rühren Sie hier in meinen Augen einiges durcheinander: Es macht ja wohl einen Unterschied und zeigt das besondere Gefährdungspotenzial der AfD, dass bei dieser Partei Rechtsextremisten prominent auf den Landeslisten, in den Parlamenten oder als Funktionäre in maßgeblichen Funktionen vertreten sind. Dazu muss man nicht nur auf Herrn Höcke verweisen. Ich finde, Sie verharmlosen jetzt auf erstaunliche Art und Weise die Gefahren, die von diesem organisierten Rechtsextremismus ausgehen, der in der AfD mitvertreten wird.
Quelle: „Wer Haltung zum Selbstzweck erklärt, ist für mich kein guter Journalist“, Welt.de, 21. September 2021
*= §26 WDR-Gesetzt enthält keine passende Passage („Kündigung des Dienstvertrags“). Inhaltlich passend ist, was im von Restle schon zitierten § 5 WDR-Gesetz steht, nun Absatz 5:
Der WDR stellt sicher, daß
1. die Vielfalt der bestehenden Meinungen und der religiösen, weltanschaulichen, politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Richtungen im Gesamtprogramm der Anstalt in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet,
2. die bedeutsamen gesellschaftlichen Kräfte im Sendegebiet im Gesamtprogramm der Anstalt zu Wort kommen,
3. das Gesamtprogramm nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dient. Der WDR soll in seiner Berichterstattung angemessene Zeit für die Behandlung kontroverser Themen von allgemeiner Bedeutung vorsehen. Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot journalistischer Fairness zu entsprechen. Ziel der Berichterstattung ist es, umfassend zu informieren.
Die Programmrichtlinien, die der WDR selbst bestimmen darf , aber auch bestimmen muss (§4a WDR-Gesetz), helfen hier nicht weiter – sie sind ein erstaunlich Ansammlung von PR-Versatzstücken.